Autismus


Autismus ist eine seelische Behinderung, die unabhängig von der Begabung auftritt. Autismus ist angeboren; die Symptome zeigen sich aber oft erst im Alter von etwa 4-5 Jahren in voller Ausprägung. Derzeit wird die Erblichkeit des Autismus erforscht; nach der aktuellen Studienlage scheint diese bei etwa 80% zu liegen, wobei mehrere genetische Faktoren zusammenwirken.  Die Häufigkeit liegt bei etwa 2-5 von 1000 Menschen; Mädchen sind sehr viel seltener als Jungen betroffen und haben oft ein unschärferes Symptomspektrum. Man unterscheidet frühkindlichen Autismus vom Asperger-Syndrom oder High- Functioning- Autismus. Die letzteren beiden Störungen sind verknüpft mit (testbarer) Intelligenz über IQ 70, d.h. es liegt keine geistige Behinderung vor. Ein Asperger- Syndrom zeichnet sich zusätzlich durch eine frühe oder gute Sprachentwicklung (oft zusammen mit leichten motorischen Defiziten) aus. Da autistische Menschen naturgemäß erhebliche Kommunikationsprobleme haben können, sind viele von ihnen nicht mit einem Intelligenztest testbar, so dass über ihre „wahre Intelligenz keine Aussagen gemacht werden können. In der Fachwelt gibt es derzeit Bestrebungen, die bisher vorgenommenen Kategorien autistischer Störungen aufzugeben. Autismus tritt oft zusammen mit einer hyperkinetischen Symptomatik auf.

Von Autismus betroffene Menschen haben oft ein starkes Detailgedächtnis und demzufolge meist eher naturwissenschaftliche Interessen. Dies bedeutet aber auch, dass innere Bilder weniger flexibel sind als bei anderen Menschen, so dass Veränderungen oft verunsichernd wirken und das kleine Kind im Extremfall nicht so rasch realisiert, dass die lachende und die ernste Mutter die gleiche Person ist. Betroffene Säuglinge reagieren auch weniger auf gesichtsähnliche Stimuli; im späteren Alter bildet zumindest ein Teil von ihnen Gesichter im Gehirn nicht am dafür spezifischen Ort (Gyrus fusiforme) sondern an dem Ort ab, wo auch Gegenstände erkannt werden (Gyrus temporalis sup. links). Eine Reihe weiterer funktioneller und neuroanatomischer Besonderheiten ist ebenfalls bekannt, z.B. mangelnde Aktivierung der Amygdala. Auf Grundlage dieser Problematik wird deutlich, dass autistische Menschen ein vermindertes Symbolverständnis haben (z.B. für Sprichwörter, Humor, Worte m übertragenen Sinn), aber auch weniger Einfühlungsvermögen für komplexe Gefühle (Neid, Anerkennung, Mitleid) und komplexe soziale Regeln (wann gibt man jemandem die Hand? Wann ist jemand ein Freund? Wie reagiert man auf ein Kompliment?). Zum Teil besteht weniger Bedürfnis nach Sozialkontakten; zum Teil aber besteht dieses Bedürfnis und kann nicht entsprechend umgesetzt werden. Autistische Menschen sind daher nicht immer „für sich oder „in ihrer eigenen Welt, sondern können z.B. auch zu wenig Distanz haben! Begabte Betroffene können diese Problematik beschreiben; es wird oft ein erheblicher Leidensdruck deutlich.

Gerade bei höherer Intelligenz ist Autismus oft nur schwer zu diagnostizieren. Differenzialdiagnosen sind z.B. Hyperaktivität/ADHS, soziale Ängstlichkeit oder Bindungsstörungen. Wir führen eine spezifische Diagnostik durch (ADOS-Test, Elterninterview, Fragebögen, Intelligenztest, ggf. Konzentrationstestungen etc.), deren Auswertung umfassende klinische Erfahrung mit der Problematik voraussetzt. Zusätzlich empfehlen wir ggf. eine humangenetische oder molekulargenetische Abklärung (z.B. Ausschluss eines Fragilen X- Syndroms)

Aus Sicht der anthroposophischen Menschenkunde und Medizin gibt es eine Reihe weiterer konstitutioneller Überlegungen zum Autismus, die wir Ihnen gern im persönlichen Gespräch erläutern. Therapeutisch gibt es meist viele Möglichkeiten, z.B. ambulante Förderung in einer spezialisierten Ambulanz oder Praxis, heilpädagogische Übungsbehandlung, Psychotherapie (meist Verhaltenstherapie), Musiktherapie, Medikamente (konstitutionell oder konventionell wirksame). Die Therapie wird in der Regel über das Jugendamt (bei seelischer Behinderung und dem Alter zwischen 6-18 Jahren), ansonsten über den Sozialhilfeträger (Sozialamt/Landschaftsverband) getragen. Rechtsgrundlage ist hierfür der § 35a KJHG bzw. § 54 SGB XII; die zuerst angesprochene Stelle ist jedoch bis zur Klärung leistungspflichtig (§ 73 SGB I). Manche Betroffene benötigen im Jugend- oder Erwachsenenalter spezifische betreute Wohn- und Arbeitsformen. Auch wenn Autismus im Prinzip eine lebenslange Behinderung ist, lassen sich durch die Therapie oft erhebliche Fortschritte erreichen. Unterstützung und Beratung ist auch über den Verein „Hilfe für das autistische Kind möglich, der zahlreiche Regionalgruppen unterhält (www.autismus.de).

Literaturempfehlungen (Auswahl)

  • Richman, S.: Wie erziehe ich ein autistisches Kind? Bern: Huber 2004
  • Attwood, T.: Das Asperger-Syndrom. Trias 2005
  • Attwood, T.: Das Asperger- Syndrom: Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen. Praxishandbuch. Trias 2005
  • Schäfer, S.: Äpfel, Sterne, rundes Glas. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 2002
    Brauns, A.: Buntschatten und Fledermäuse. Mein Leben in einer anderen Welt. Goldmann 2004
  • Haddon, M.: Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone. München: Bertelsmann, 2004

© Dr. Arne Schmidt 2007

Weiterführende, ausführliche Informationen:
ADS/ADHS | Autismus | Bin ich verrückt? | Diagnostik und Therapie


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